Ich war ja diese Woche aus einem Grund mehrmals in meiner Geburtstadt. Und abgesehen vom eigentlichen Grund ist nebenher noch so viel mehr passiert. Und natürlich verarbeite und sortiere ich das hier in meinem Blog. Woanders würde ich das zum einen sonst vergessen und zum anderen habt ihr dann auch etwas davon.

Diese Situation ist mir an meinem neuen Geburtstag vor meinem Termin beim Standesamt auf dem Hinweg passiert. Die Strecke meines Wohnortes und der Geburtsstadt ist, wie so viele andere Strecken auch, ein Albtraum, wenn man ihn mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen muss. Aktuell ist es so, dass an der Haltestelle vor meinem Ziel Endstation ist, dann geht es mit einem Bus, dem Schienenersatzverkehr weiter – die Bahn frimelt da wieder etwas am Streckenabschnitt, was wahrscheinlich innovativ und toll wirken soll, sich aber sicherlich als Schuß nach hinten entpuppen wird.

… auf dem Weg vom Bahnhof zur Bushaltestelle kam mir eine Figur aus meiner Vergangenheit entgegen. Eine Person, mit der ich allgemein nicht gerechnet habe und im speziellen an DIESEM Tag auch nicht hätte sehen wollen, hätte ich Einfluss darauf gehabt. Aber es war wie es war und leider hatte er mich auch erkannt. Gut, ich habe mich in den letzten 10 Monaten optisch auch nicht sehr verändert. Nicht gut, es interessierte ihn gar nicht, ob ich überhaupt Kontakt mit ihm haben wolle. Ich muss dazu sagen, dass ich diese Person von einem auf den anderen Tag vor die Türe gesetzt habe, nachdem er mich an einem für mich persönlich wichtigem Tag alleine weinend auf dem Sofa sitzen gelassen hat und ins Bett gegangen ist. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, außer dass ich ihn retrospektiv nur noch den Parasiten nenne.

Ich war für meinen Teil auf jeden Fall sehr überrascht, dass er auch nur ansatzweise so wahnsinnig war, mich anzusprechen, obwohl ich ihn nach unserem Ende auf allen möglichen Kanälen blockierte und auch nicht reagierte. Wie selbstverständlich baute er sich vor mir auf, und fing sofort an zu reden.

Er: „Oooh, schön, dass wir uns sehen! Ich vermisse Dich so!“

MiniMe: Ich möchte spontan erblinden und wenn er uns anfasst, fress ich ihm den Arm ab.

Ich intern an MiniMe: Der Bus kommt gleich, wie haben einen äußerst wichtigen Termin, wir wollen nicht auf einer Polizeiwache übernachten.

Er: „Naja, Du hast Dich optisch ja schon etwas verändert, aber …“ In dieser Sprechpause mustert er mich von oben herab bis zu den Zehenspitzen, während MiniMe in mir ein Würgegeräusch nach dem nächsten von sich gibt … „… darüber kann ich hinweg sehen. Wollen wir es noch einmal probieren?“

Minime: Hat er nicht wirklich gesagt! HAT! ER! NICHT! WIRKLICH! Can I shoot him?

Ich innerlich zu MiniMe: „Not in public!“ Wir lachen beide.

Ich nach außen: „I beg you pardon!“

Der Spruch war bewusst gewählt. Zum einen weil ich weiß, er spricht und versteht kein englisch. Und zum anderen, weil mein Kopf vibrierte. Ich war sehr hin und her gerissen zwischen Zweifel, wie MiniMe, dass er wirklich noch ansatzweise diese Möglichkeit in Betracht zog und Ekel, dass er mich überhaupt noch ansprach, nachdem was er mir alles emotional angetan hat! Eine wirklich brummige und melodische Stimme zog mich aus diesem Ping-Pong-Spiel heraus. „He thinks you’re his ex-girlfrind. But you‘ re a trans man, right?!“ Ich drehte mich zur Quelle der Verführung und schaute in ein freundlich lächelndes Gesicht, was mich aus großen grauen Augen fragend ansah. Ich nickte nur, denn ich war sprachlos. Zwar trug ich Regenbogenfahnen ohne Ende mit mir und an mir herum, ebenso wie eine Brillenkette mit dem Muster der trans-Flagge. Aber ich hatte noch nie erlebt, dass jemand das so schnell erkannte, geschweige denn dass ICH auf dem Radar von jemandem landete,der mein Unbehagen merkte und auch noch eingriff. Ich war so perplex, dass ich auch genickt hätte, hätte er gefragt: „You’re a Yeti, right?“

Der Mann drehte sich zum Parasiten um und erklärte ihm mit gebrochenem Deutsch, dass er mich wohl verwechsle, ich sei schließlich ein Mann. Und dann drehte er sich tatsächlich zu mir hin, hilt mir die Hand hin und sagte: „Hi, my name is Finn*, what’s your name? And your pronouns please.“ MiniMe in mir sprang hin und her, wollte dass ich was sagte. Und genau das riss mich aus meiner Erstarrung. Es stellte sich heraus, dass Finn eher spontan seine Fernbeziehung besuchen wollte und fest stellte, dass diese seit mehreren Jahren schon verheiratet war. Er war auf dem Weg nach Hause. „With a broken heart,“ wie er sagte.

Als wir uns verabschiedeten, fragte ich ihn nach seiner Handynummer und ob man in Kontakt bleiben wolle. Doch kaum hatte ich die Frage gestellt, wusste ich, sie kam nicht aus dem Impuls von wirklichem Interesse, sondern aus Pflichtgefühl. Er hatte eine für mich sehr unangenehme Situation in etwas Schönes verwandelt und ich hatte den Drang in mir, mich zu revanchieren. Denn sonst würde man es mir vielleicht irgendwann vorwerfen. Doch Finn hatte andere Pläne: „We’re both broken and we’ll connect each other with our ex. Let destiny decide, if we’ll meet again, more healed and less damaged. I’m really hoping for that!“ [Für die, die kein englisch können: „Wir sind beide gebrochen und werden uns mit unseren Ex-Partnern verbinden. Das Schicksal soll entscheiden, ob wir uns wieder begegnen, geheilt und weniger verletzt. Ich hoffe wirklich darauf!“]

Dann kam sein Bus und ich dachte wirklich ich säße in einem kitschigem Rosamunde Pilcher Roman.

Ich war von Finns Verhalten und vor allem dieses klare Grenzen setzen so beeindruckt, dass ich nicht in Worte fassen kann, was mir da durch den Kopf ging, ohne in den FSK-18 Bereich zu rutschen. Diese kurze Begegnung gab mir in dem Moment so viel Kraft und ich bin der Meinung nichts passiert ohne Grund. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass wir uns noch einmal begegnen?

Und doch hoffe ich, dass wir uns vielleicht wieder sehen, wie er sagte, geheilter und weniger verletzt …

 

*Name geändert, da ich ihn ja nicht fragen kann, ob ich seinen Klarnamen nutzen kann.